Berans Kultur-Botschaft
Wir müssen tief eintauchen in die klassische Dressur, um die positive Wirkung der Seitengänge auf den Pferdekörper und auf dessen Ausbildung allmählich zu verstehen. Dass man neben vorwärts und geradeaus auch noch „schief“ reiten muss, weil es in den Turnierprüfungen eben nun mal verlangt wird, diese naive Auffassung höre ich gerade von Reitern der jüngeren Generation öfters. Für sie sind Seitengänge eine Übung von vielen, die in den Dressurprüfungen vorkommt. Kein Hintergrundwissen, kein Hinterfragen. Wichtig ist, ob das Pferd den einen oder anderen Seitengang schon draufhat.
So oberflächliche Reiter kann man gerade noch mit dem Argument überzeugen, dass das innere Hinterbein bei so manchem Seitengang engagiert wird. Oder dass das Einstellen der Vorhand auf die Hinterhand erst durch das Schulterherein möglich wird und das Geraderichten damit schon gewährleistet ist. Aber das ist nur ein Bruchteil dessen, das Seitengänge leisten und uns schenken können – vorausgesetzt, wir wenden sie korrekt an. Damit meine ich nicht das exaltierte Traversieren, das heute auf Turnieren im überhöhten Tempo und oft am Schwerpunkt vorbei fußenden Hinterbeinen dem nach Spektakel dürstendem Publikum dargeboten wird! Solche Traversalen sind oft sogar mit Schwebemomenten ausgestattet: Die diagonalen Beinpaare verharren etwas in der Luft, und das Hinterbein wir eben nicht flüssig vorwärts-seitwärts geführt – weit ab vom geforderten versammelten Tempo.
Echte, guten Seitengänge sind viel mehr
Echte, gute Seitengänge sind viel mehr: Sie lösen Verspannungen, vor allem im Rücken. Sie bringen an die Hilfen, wirken sich positiv auf die Arbeitseinstellung des Pferdes aus, sie versammeln, machen beweglich und richten gerade. Dieses tiefe Wissen, welcher Seitengang in welchem Augenblick für welches Pferd gymnastizierend ist, ja sogar therapeutische Wirkung haben kann, verlangt ein Studium der Reitkunst, das heute nur noch an raren Orten vermittelt wird.
Fakt ist, dass nur das „schiefe Reiten“ in entsprechend ausgewählten Seitengängen dem Pferd helfen kann, seinen Körper geradezurichten. Wer die Dressur auf diese Weise zu verstehen beginnt, wird extrem intellektuell gefordert und sich alsbald vom oft gehörten „Durchstellen“ und „Durchtreiben“ distanzieren. Er wird Muskelkraft im Sattel durch Köpfchen ersetzen und pferdegerechte Lösungen ohne Zwang, nur durch Gymnastik erleben. Ihm werden sich per Seitengang ganz neue Zusammenhänge eröffnen.
Passend zur aktuellen Weltlage sollten wir auch in der Pferdeausbildung erkennen, dass Nachhaltigkeit vor schnellem Profit steht. Es ist an der Zeit, dass wir uns nicht nur für den Gebrauch des Wegwerf-Artikels Pferd interessieren und uns an spektakulären Bewegungen und mächtigen Sprüngen ergötzen, die es in ganz jungen Jahren zeigen muss, um schnell vermarktet zu werden. Jetzt ist der Moment für mehr Reitkultur – nutzen wir die Chance, damit das Interesse an der nachhaltigen Gymnastizierung um der Pferdegesundheit willen wächst. Dazu bedarf es der Seitengänge als wichtiges Instrument!
Fotos: Maresa Mader, Text: Anja Beran