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„Reit­kul­tur heißt Hal­tung einnehmen”

Foto: Mare­sa Mader

„Reitkultur heißt Haltung einnehmen”

Besin­nen wir uns auf die Reit­kul­tur, die auf den Prin­zi­pi­en der klas­si­schen Reit­kunst basiert und mit einem gewis­sen Wer­te­ka­non ver­knüpft ist. Mit unse­rem leben­den Kul­tur­gut, dem Pferd, sind wir seit Jahr­hun­der­ten engs­tens ver­bun­den, denn es war wie kein ande­res Tier an unse­rer Ent­wick­lung maß­geb­lich betei­ligt. Dafür zahl­te es einen hohen Preis: Ob im Krieg oder im Arbeits­ein­satz, Pfer­de wur­den seit jeher von Men­schen aus­ge­beu­tet und ver­schlis­sen. Heu­te hat das Pferd, ober­fläch­lich betrach­tet, sei­nen Nut­zen für den Men­schen ver­lo­ren. Es ist zum Luxus­ob­jekt mutiert, das den Men­schen erhöht, sei­ne Eitel­kei­ten, sei­nen sport­li­chen Ehr­geiz und sein Pres­ti­ge­den­ken befrie­digt. Die Bedürf­nis­se des Pfer­des gera­ten dabei nicht all­zu sel­ten aus dem Blick­feld und wir redu­zie­ren unse­re Vier­bei­ner auf rei­ne „Leis­tungs­trä­ger“.

Der vermeintlich einfachere Weg

Genau an die­ser Stel­le kann die Reit­kul­tur anset­zen, denn wir soll­ten uns nicht fra­gen, was wir aus dem Pferd noch her­aus­ho­len kön­nen, son­dern viel­mehr, was das Pferd aus uns her­aus­ho­len kann? Sobald wir die­se Fra­ge zulas­sen, ent­de­cken wir vie­le Berei­che, in denen der Umgang mit der Krea­tur – vor allem die Rei­te­rei – uns hel­fen kann, im dop­pel­ten Sin­ne eine bes­se­re Hal­tung ein­zu­neh­men: Zum einen geht es um die auf­rech­te Kör­per­hal­tung, unse­re Koor­di­na­ti­on, Kör­per­span­nung und Kör­per­ge­fühl, zum ande­ren beein­flusst eine mit Refle­xi­on betrie­be­ne Reit­kunst sehr stark auch unse­ren Cha­rak­ter und unser Wer­te­be­wusst­sein. Dis­zi­plin, Fleiß, Geduld und Demut sind nur eini­ge der Eigen­schaf­ten, die Pfer­de von uns ein­for­dern. Nicht sel­ten scheu­en wir es, an die­ser Her­aus­for­de­rung zu wach­sen, und gehen lie­ber den ver­meint­lich ein­fa­che­ren Weg mit einem „bes­se­ren“ Pferd.

Würde und Stolz

Dabei wäre genau jetzt die Zeit reif, unse­rem Mit­ge­schöpf, dem Pferd, gerecht zu wer­den und ihm damit sei­ne Wür­de, sei­nen Stolz zurück­zu­ge­ben! Die Epo­che, in der man auf Leben und Tod vom Pferd abhän­gig war, ist end­gül­tig Geschich­te. End­lich haben wir die Mög­lich­keit, der Reit­kunst zu frö­nen, an uns zu arbei­ten und in Har­mo­nie mit dem Pferd Außer­or­dent­li­ches zu leis­ten, ohne es dabei zu ver­schlei­ßen! Besin­nen wir uns jetzt auf die Reit­kul­tur: In Zei­ten, in denen Begrif­fe wie Slow Food oder Ent­schleu­ni­gung ein Umden­ken bereits ein­ge­lei­tet haben, soll­ten wir den Gesin­nungs­wan­del in der Reit­kunst nicht ver­säu­men – sie kann so viel zu unse­rer kör­per­li­chen und cha­rak­ter­li­chen Ent­wick­lung bei­tra­gen, ist so sehr mit unse­rem Wer­te­sys­tem ver­bun­den, dass wir sie pfle­gen und ihr Aus­ster­ben unbe­dingt ver­hin­dern sollten.

“das gymnasium des pferdes”

Rufen wir uns in Erin­ne­rung, was im Nach­wort von Gus­tav Stein­b­rechts „Das Gym­na­si­um des Pfer­des“ geschrie­ben steht: „Ein Rei­ter muss in sich so viel­sei­ti­ge Eigen­schaf­ten ver­ei­nen, und zwar kör­per­li­che, cha­rak­ter­li­che und geis­ti­ge, wie sie die Natur nur sel­ten einer Ein­zel­per­sön­lich­keit mit­gibt und wie kei­ne ande­re Kunst sie von ihren Schü­lern in sol­chem Umfang for­dert. … Der gan­ze Kör­per muss güns­ti­ge Ver­hält­nis­se auf­wei­sen, da alle sei­ne Tei­le, Glie­der und Mus­keln beim Rei­ten mit­zu­wir­ken haben. Hier­zu müs­sen sich aber noch ganz beson­de­re Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten gesellen,
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(G. Stein­brecht, Das Gym­na­si­um des Pfer­des, 16. Auf­la­ge 1995, Ver­lag Dr. Rudolf Geor­gi, Aachen) 

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