Wir brauchen Gefolgschaft, keine Unterwürdigkeit
Ein Wort zu Bindung und Sicherheit.
AUF EIN WORT…
„Im Umgang mit Pferden vergessen wird oft, dass ihr Verhalten auch nach Jahrtausenden der Domestikation nicht darauf angelegt ist, in einer vom Menschen gestalteten Umgebung zu bestehen und mit uns als Artfremdem zusammenzuleben. Respektieren wir also das Verhalten unserer Pferde, um mit ihnen in Beziehung zu treten: Die Natur befähigt sie, sich als Mitglieder einer Gruppe in der Auseinandersetzung mit Umgebungsbedingungen und Artgenossen zu behaupten und Bindungen einzugehen.
Neben der Rangordnung und der Orientierung am Leittier entstehen unter Pferden vielfältige Beziehungen: zwischen Müttern und Fohlen, unter Jungtieren im Spiel, zwischen Hengst und Stuten, auch unter Stuten und unter den Hengsten einer Junggesellengruppe. Die häufig engen Zweierbeziehungen erwachsener Pferde bleiben meist lange stabil. Partner suchen Nähe, oft bei der sozialen Hautpflege. Solche Bindungen gehen mit wechselseitiger Bedarfsdeckung und Bedürfnisbefriedigung einher und sichern konfliktfreies Zusammenleben. Soziales Training ist das Spiel ohne Rangordnung, in dem Partner und Rollen wechseln. Junghengste liefern sich Kampfspiele und proben schon einmal Dominanz; auch erwachsene männliche Tiere spielen manchmal noch.
Sicherheit ist ein elementares Bedürfnis von Pferden. Sie sind nicht wehrhaft, aber schnell – und ständig auf der Hut vor möglicher Gefahr, um rechtzeitig Distanz gewinnen zu können. Fluchtbereitschaft überdeckt alle anderen Motivationen. Ist Flucht nicht möglich, wehren sie sich durch Schlagen mit den Hinterhufen, Angriff mit den Vorderhufen und Beißen. Einer Gruppe anzugehören und über soziale Bindungen zu verfügen, trägt zum Erleben von Sicherheit bei.“
Prof. Ulrich schnitzer
Professor Ulrich Schnitzer baut seit Jahrzehnten Brücken zwischen Pferdeverhalten und fairer klassischer Ausbildung. Der Architekt und Langzügel-Experte plädiert in der neuen ReitKultur-Ausgabe für ein hehres, aber erreichbares Ziel: Wir brauchen die Gefolgschaft unserer Pferde, um Erfolge zu erleben.
Wenn ein Pferd sich weigert,
das Verlangte zu tun,…
Bindungen eingehen, Spielen als Dominanztraining, Sicherheit als elementares Bedürfnis:
Welche Bedeutung kommt diesen Komponenten des Pferdeverhaltens zu, wenn wir unsere Pferde ausbilden und reiten? Wir haben sie aus ihrem natürlichen Umfeld genommen, sie können sich nicht mehr selbst das Lebensnotwendige beschaffen und sich vor widrigen Einflüssen schützen, sondern benötigen unsere Hilfe bei Pflege, Futter, Zuwendung, Beschäftigung. Wir bestimmen also über das Pferd.
Das Pferd wiederum nutzt verbliebene Freiräume, sich mit uns als Artfremdem, der sich so intensiv in sein Leben mischt, sozial auseinanderzusetzen. Die Komponenten des natürlichen Pferdeverhaltens sind dabei noch erkennbar: Anschluss, Durchsetzung, Qualität einer Zweierbeziehung, Abwehr, Sicherheit.
Schon in einem frühen Schlüsselerlebnis als Reitschüler wurde mir klar, dass beim Reitenlernen noch andere Dinge im Spiel sind als die körperliche Hilfengebung mit Sitz, Schenkeln und Hand. Eine kleine Berberstute namens Diana nahm die Hilfen ihrer Schüler ungern an, ließ sich von schwächeren Reitern mühsam dirigieren und stürmte, wenn Galopp angesagt war, lieber unkontrolliert davon. Als mir Diana im ersten Reitschuljahr wieder einmal zugeteilt war, sah sich der Lehrer das Trauerspiel an, ließ mich absitzen und ritt selbst. Vom ersten Augenblick an trat Diana ans Gebiss heran und trabte fleißig.
Zeit verging, ich machte Fortschritte und konnte Diana – mit deutlichen Anstrengungen – an die Hilfen stellen. Eines Tages stand ich vertretungsweise selbst unterrichtend in der Bahn. Diana bescherte ihrem Reiter das übliche Vergnügen. Ich ließ es erst einmal geschehen und ritt dann selbst ein paar Runden. Verblüfft stellte ich fest, dass es nicht des sonst nötigen Einsatzes bedurfte: Diana reagierte sofort willig auf meine Hilfen. Sie hatte in vielen Reitstunden erlebt, die Anweisungen dessen zu befolgen, der Unterricht erteilt. Übernimmt dieser das Pferd, findet er dessen erhöhte Bereitschaft vor, das Gewünschte umzusetzen.
Wenn das Pferd den Reiter als Wesen akzeptiert, welches das Sagen hat, erhöht das die Aufnahmebereitschaft, wirkt als Verstärker, ermöglicht Hilfenminimierung und feinere Abstimmung. Das gilt auch umgekehrt, weshalb Reitanfänger gleich doppelt im Nachteil sind: Es fehlt ihnen an Körperkoordination, um die Hilfen korrekt anzuwenden. Machen sie es dann weitgehend richtig, ist noch nicht gesagt, dass sie damit beim Pferd durchkommen.
Autorität ist unentbehrlich
Für die Ausbildung von Pferden mit besonders viel Durchsetzungsfreude ist daher entsprechende Autorität unentbehrlich – nicht zu verwechseln mit Kraft oder Gewalt. Zu Unrecht werden solche Pferde als schwerrittig abgestempelt, oft sind sie besonders leistungsfähig. Dass Kinder mit derartigen Pferden zurechtkommen, mag paradox erscheinen. Das Pferd mag es als angenehm empfinden, nicht zur Unterordnung gedrängt zu sein, zumal wenig verlangt wird. Möglich auch, dass dieses Verhalten im Zusammenhang mit der Adultpferd-Fohlen-Beziehung steht, in der es keine Rangordnung gibt. Anrührend zu beobachten, wie fürsorglich sich manche Pferde gegenüber Schwächeren verhalten – bis dahin, dass ein Pferd sofort stehen bleibt, wenn ein Kind das Gleichgewicht verliert.
Besonders deutlich wird die Bedeutung der sozialen Stellung des Ausbilders bei der Freiheitsdressur, etwa im Schweizer Zirkus Knie. Fredy Knie junior schickte einmal zwölf Lipizzanerhengste in die Manege, wo sich diese in scheinbar ungeordnetem Durcheinander Rangordnungsspiele und ‑kämpfe lieferten, bis Knie die Manege betrat und mit wenigen Gesten die Pferde zur Formation sortierte – undenkbar, wenn er nicht über die Alpha-Position verfügen würde.
Diese Freiheitsdressuren werden meist mit Hengsten durchgeführt, denn Stuten verhalten sich anders als Hengste beim Ein- oder Unterordnen. Wie Auseinandersetzungen zwischen frei lebenden Hengsten spektakulärer sind und klare Verhältnisse hinterlassen, zeigen Hengste auch in der Ausbildung ihre Positionsansprüche deutlicher als Stuten. Besitzt man aber gegenüber einem Hengst die Führungsposition, so ist diese stabil. Stuten sind vordergründig sanfter, behaupten sich aber hinhaltender und versuchen immer wieder, sich durchzusetzen, ohne es zu ernsthaften Auseinandersetzungen kommen zu lassen. Es ist also nicht etwa leichter, einer Stute gegenüber den beherrschenden Part zu gewinnen.