Anna Eichinger, Was würden die alten Meister sagen, wenn…
Das heißeste Eisen und die spannendste Frage in der Ausbildung von Pferden ist der Startzeitpunkt. Bei den heutigen Zuchtstutenprüfungen sind dreijährige und teilweise auch ältere Stuten zugelassen. Bei der Hengstleistungsprüfung geht es primär um die Selektion und Bewertung von Hengsten hinsichtlich ihrer späteren Nutzung als Zuchttiere. Dass hier junge Pferde und keinesfalls erwachsene Tiere vorgestellt werden, liegt auf der Hand. Diese Leistungstests für junge Pferde werden häufig kritisiert, da dreijährige Pferde meist sehr früh angeritten werden, um an den Prüfungen teilzunehmen.
Die Alten Meister bezeichneten junge Pferde lange als Fohlen. Erst mit viereinhalb Jahren, manchmal sogar erst mit fünf oder sechs Jahren wurde mit der Ausbildung gestartet. Bei François Robichon de la Guérinière (1688–1751) konnte es sogar noch später sein – abhängig von den Bedingungen, unter denen die späteren Reitpferde großgezogen wurden: „Das richtige Alter um ein Pferd abzurichten ist je nach klimatischen Aufzuchtbedingungen sechs, sieben oder acht Jahre. Vor dem Anreiten gehe ich nun von einem Pferd aus, das in diesem Alter ist und das man daran gewöhnt hat, die Annäherung des Menschen sowie das Auflegen des Sattels und die Zäumung zu dulden.“
Die gute Beziehung ist die
Basis der Pferdeausbildung
Früher und heute waren und sind sich alle guten Ausbilder einig: Ohne eine gute Beziehung kann Pferdeausbildung nicht gelingen. Der Reiter müsse sich ständig in die Empfindungen und Reaktionen des Pferdes hineinversetzen. Nur so kann er sein eigenes wie das Verhalten des Pferdes angemessen einschätzen und bewerten. Wo beginnt also die Pferdeausbildung? In erster Linie beim Menschen – das attestierten auch der große deutsche Klassiker Gustav Steinbrecht (1808–1885) und bereits der Franzose Antoine de Pluvinel (1555–1620).
Pluvinel bezeichnet die gemeinsame Ausbildung von Pferd und Reiter zwar nicht als Ding der Unmöglichkeit, er bevorzugt allerdings, die Schulung des Menschen zuerst in die Hand zu nehmen: „Ich möchte Ihnen auch den Grund nennen: Die Reitkunst hatte nicht immer den hohen Stand, auf dem sie sich jetzt befindet.“ Laut Pluvinel kann nur ein ausgebildeter Reiter beurteilen, ob das noch junge Pferd unter ihm etwas richtig oder falsch macht. Lernen Pferd und Reiter gleichzeitig, wird es schwer, Belohnung und Korrektur zweier Individuen zum korrekten Zeitpunkt abzustimmen. Nur der geschulte Reiter kann die Bewegungen des Pferdes im Schritt, Trab und Galopp in allen Arten von Lektionen fühlen und bewerten.
Auch Gustav Steinbrecht warnt in seinem „Gymnasium des Pferdes“ eingehend an mehreren Stellen vor der Opferung der Kunst zu Gunsten einer schnellen Pferdeausbildung: „Das Pferd ist in meinen Augen nicht bloß Reittier, sondern das vielseitig begabteste Geschöpf der Tierwelt und wir müssen uns ihm gegenüber stets dankbar zeigen. Diese Dankbarkeit soll sich in der Sorgfalt und Forschung rund um Züchtung, Erziehung und Ausbildung dieses Geschöpfes zeigen. Durch verkehrte Anschauungen und das kleinliche Verfolgen von einseitigen Zielen und Vorurteilen passieren heute die meisten Fehler.“
Früher war Pferdeausbildung
eine Sache für Fachleute
Steinbrecht formuliert hier wunderbare bildhaft: „Wer früher ein Pferd in die Ausbildung gab, für den kam nur ein kundiger Fachmann in Frage. Denn wie jeder Vater es doch vorzieht, seinen Kindern den ersten Elementarunterricht lieber durch einen wissenschaftlich gebildeten Mann erteilen zu lassen, als durch einen beschränkten Schulmeister, so sollte doch auch heute jeder Pferdebesitzer ein junges Pferd von Beginn an einem gebildeten, kunstsinnigen Reiter übergeben.“
Der Faktor Zeit spielt bei der Ausbildung von Pferd und Reiter heute wie damals eine große Rolle. Interessant, dass sich bereits bei Pluvinel ein Hinweis darauf findet, dass auch er zu seiner Zeit einem gewissen Druck in punkto langwieriger Pferdeausbildung ausgesetzt war: „Da mir nie etwas gefehlt hat außer Zeit, habe ich besonders daran gearbeitet, die Ausbildung von Mensch und Pferd so stark wie möglich abzukürzen. Erfreulicherweise ist mir dies so gut gelungen, dass ich meine Vorgehensweise als die kürzeste und sicherste vorstellen kann, die unfehlbar zum Ziel führt.“
Pluvinels Zitat stammt aus seinem Werk „L’instruction du roy en l’exercice de monter à cheval“. Dabei unterhält sich Pluvinel mit König Ludwig XIII. Könnte man dieses Zitat im Konnex zur heutigen Zeit so sehen, dass selbst ein Reitmeister wie Pluvinel sein Können seinem Herrn gegenüber möglichst vorteilhaft darstellen musste? Zwingt uns damals wie heute der Ehrgeiz und ein Höher-Schneller-Weiter-Denken zu Abkürzungen?