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Egon von Neindorff trifft Sally Swift
Text: Dr. Lysann Massmann
Egon von Neindorff trifft Sally Swift
Von Kürzeln und Küken – Egon von Neindorff trifft Sally Swift
Was haben Altmeister Egon von Neindorff und Sally Swift, Kreativ-Geist der modernen Sitzschulung, gemeinsam? Sie machen der Remonte das Reitpferdeleben so leicht wie möglich. Schlüssel dazu ist der Sitz. Doch der eine spricht in Kürzeln, und die andere mag Küken…
Die Ausbildung des Pferdes von der Remonte zum Reitpferd, aber auch der Erhalt des ausgebildeten Pferdes setzt die Fähigkeit des Reiters voraus, das Pferd in die Balance zu bringen und diese zu erhalten. Deshalb gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Sitz, der daraus resultierenden Einwirkung des Reiters und dem Gehen des Pferdes.
Das Pferd soll, so Egon von Neindorff, durch die Ausbildung wendiger und schöner werden und dabei gesund bleiben. Dem Karlsruher Reitmeister ging es um die Ausbildung des Pferdes in naturorientierter Art und Weise. Ziel seines Reitinstituts war der Erhalt und die Weitergabe dieser Kompetenz an Berufsreiter und Amateure. Dabei vermittelte er den Sitz als notwendiges Werkzeug des korrekten Pferdetrainings. Centered Riding® hingegen ist eine didaktische Methode, unabhängig von einer bestimmten Reitweise. Diese Methode schärft das Bewusstsein des Reiters für seinen Körper, dann aber auch für die Bewegung des Pferdes.
„Wie kann zwischen beiden Ansätzen vermittelt werden?”
Egon von Neindorff: Grundausbildung – eine Herzensangelegenheit
Für Egon von Neindorff war die Grundausbildung von Pferd und Reiter eine Herzensangelegenheit. Denn hat man die Basis, so hat man (fast) alles. Diese Erkenntnis hat mich ein Leben lang begleitet. Je älter ich werde, umso mehr sehe ich, wie richtig dies ist. War der Weg von der Remonte zum Reitpferd erst einmal genommen, so war das Tor für die weitere Ausbildung geöffnet. Dies umschrieb er gerne mit Begriffen wie der „ehrlichen“ Reiterei. Das Pferd sollte „nach der Vorschrift“ geritten sein und nicht nach irgendeinem „Spezialrezept“ bedient werden. Ziel war das losgelassene, im Gleichgewicht gehende Pferd. Dieses Ziel konnte nur erreicht werden, wenn das Pferd auf die Grundlagen gebracht wurde und der Reiter ebenso einen korrekten Sitz hat.
Egon von Neindorff, geboren 1923, war Schüler von Richard Wätjen und Ludwig Zeiner, beide wiederum Schüler des legendären Wiener Hofoberbereiters Johann Meixner. Schon von daher wird deutlich, dass der Sitz des Reiters für Neindorff eine zentrale Rolle spielte. Ohne korrekten Sitz keine korrekte Reiterei. Somit ist der Sitz auch Voraussetzung für die Ausbildung des Pferdes von der Remonte zum Reitpferd bis zu den Lektionen des Grand Prix und darüber hinaus den Schulen über der Erde. Die Grundausbildung des Nachwuchspferdes entsprach im Wesentlichen der heutigen Ausbildungsskala.
Eins, zwei, drei, vier – fünf, sechs, sie – – ben!
Takt war für E. v. Neindorff die Grundlage der Gymnastizierung und des Ausbalancierens des Pferdes. Zwar forderte er immer, schwungvoll nach vorne zu reiten. „Schwung in die Bude“ war ein regelmäßig zu hörender Ruf. Der Schritt als schwunglose Gangart sollte dennoch „schwungvoll geritten“ werden. „Auch Schritt ist eine Gangart.“ Doch sollte das nicht missverstanden werden mit einem ungeregelten Vorwärts: „Zählen Sie!“ war eine häufige Aufforderung an seine Schüler: „Eins, zwei, drei, vier, – , fünf, sechs, sie – – ben: Kh, Fs, Bv, Kz, At! Ak-tivität! Ak-tivität!“ Ebenso mahnte er immer wieder zur Ruhe. Insgesamt wurde der Trab zunächst in sehr mäßigem Tempo gearbeitet, was die Pferde unterstützte, zur Losgelassenheit zu finden. Zunächst gingen die jungen Pferde von daher in einer eher ausdruckslosen Bewegung.
… sonst kann die schwarze Dame sich nicht finden!
Für mich war dies im Karlsruher Reitinstitut oft gar nicht einfach. So war mir einmal eine pechrabenschwarze Stute namens „Allegretta“ zur Arbeit anvertraut. Diese ließ sich gerne etwas bitten. Hatte ich sie endlich in Gang gebracht, so kam sofort die Korrektur: „Bitte nicht eilig werden lassen, sonst kann sich die schwarze Dame nicht finden.“ Ein zunächst betont ruhiges Gehen war Grundlage der Arbeit, sowohl zunächst an der Longe, dann auch unter dem Reiter. Die Pferde fanden so auch unter dem Reiter bald wieder zu ihrem natürlichen Gleichgewicht. Die Pferde schnaubten ab und fanden in einer tiefen Stellung, von Neindorff die Taucherstellung genannt, die Anlehnung an die weiche, gefühlvolle Hand.
Eine Besonderheit am Institut war im Gegensatz zu der heutigen Arbeit in der Dehnungshaltung, dass die Pferde tiefer eingestellt waren als nur Maulspalte Höhe Buggelenk. Und vor allem musste die Nase stets vor der Senkrechten sein. Der Reiterkörper gab diese Einstellung vor, indem der Reiter die Streckung des Pferdehalses auch durch Mitgehen im Oberkörper zuließ, sich also nach vorne neigte. Wichtig von Anfang an war, dass der Reiter das junge Pferd nicht durch einen unruhigen Sitz störte oder es durch klemmende Schenkel oder harte Hand zur Explosion brachte.
Pfötchen mit Gefühl: Die filternde Hand
Nach und nach ließen sich die Pferde dann auch etwas mehr aufnehmen und schließen. Dazu trieb der Reiter, nachdem sein Pferd sich losgelassen hatte, etwas mehr an die Hand heran. Für von Neindorff war die feine, gefühlvolle Hand sehr wichtig. So sprach er gelegentlich vom „Pfötchen“. Manchmal erzählte er nach der Arbeit von seinen eigenen Lehrjahren u.a. bei Ludwig Zeiner. So habe Zeiner zum jungen Neindorff gesagt: „Herr von Neindorff, die Pfote, die Pfote! Es ist mir eine Seelenqual, Sie auf dem Pferd zu sehen.“ Dann soll Zeiner die Hand Neindorffs geführt haben, um ihm ein Gefühl zu geben, wie sich beim Piaffieren die Hand anfühlt, die nicht rückwärts wirkt und den Hinterfuß blockiert. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Neindorff galt schon im Krieg als Reiter mit einer besonders guten Hand. Hier ging es um die Vollendung in der höheren Dressur oder wie Neindorff zu sagen pflegte, in der Schularbeit.
Auch sprach Neindorff von der „filternden“ Hand. „Die Hand steht still, und sie bewegt sich doch“, so ein häufiger Satz in seinem Unterricht. „Die Hand darf nicht nichtssagend sein“. So kann das Pferd an die Hand herantreten. Voraussetzung dafür war aber, dass die Remonte gelernt hat, in der Tiefe die Hand zu suchen. Denn nur, wenn das Pferd die „ehrliche Hand“ sucht, kann es in eine Balance kommen. Deswegen durfte die Hand nie zurückwirken, so dass die Stirnlinie des Pferdes nie hinter die Senkrechte kommt. Dass das Pferd nicht zu tief kommt, dafür waren die vortreibenden Hilfen in Verbindung zur nachgebenden Hand verantwortlich. Genauso musste das Pferd durch die vortreibenden Hilfen an die Hand vorsichtig herangetrieben werden. Neindorff verglich das mit einer Tube Odol, damals der Inbegriff der Zahnpasta: Drückt man zu wenig, kommt nichts raus, drückt man zu viel, so ist der ganze Inhalt im Zimmer verspritzt. Er warnte mich einmal: „Treibe das Pferd dir nicht auf die Hand. Gefühl, Gefühl!!“ Dies galt für jedes Pferd, egal ob Remonte oder das voll ausgebildete Schulpferd. Oft wies er darauf hin, dass die nachgebende Hand die Rückentätigkeit wiederherstellt.