So stabilisieren wir Pferde gegen die Schwerkraft
Für gesunde Pferde sind Seitengänge eine koordinative Höchstleistung, bei der sich der Körper an die Herausforderung anpasst. Beim schwächeren Pferd, etwa nach Verletzungspause, besteht Gefahr, dass es die hohe Belastung nicht kompensieren kann, sondern ermüdet und blockiert. Der Bewegungsexperte Stefan Stammer warnt deshalb vor Überforderung durch mechanistisches Training.
Besonders der negative Bewegungsablauf des Schenkelgängers kann die Beinmechanik in Bezug auf den Seitengang zwar ermöglichen, führt aber unweigerlich zu massiven Scherkräften innerhalb der Zehengelenke.
Fehlerhafte Bewegungsabläufe erzeugen negative Belastungen, funktional korrekte Bewegungen garantieren einen positiven Trainingseffekt. Das gilt in der Bewegungslehre von Pferden ebenso wie der Humanmedizin. Die Qualität der Maßnahmen gilt also als Katalysator für ihre Wirkungsweise. Dabei kann fehlerhaftes oder schlechtes Training von einem leistungsfähigen und gesunden Organismus lange, manchmal sogar ein Leben lang kompensiert werden. Das ist im Prinzip auch gar nichts Schlechtes, sondern nur ein Ausdruck der hohen Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der Natur gegenüber nicht optimalen Verhältnissen, die im Alltag jedes Körpers nun mal vorhanden sind und zum Leben dazu gehören.
Keiner von uns, keines unserer Pferde bewegt sich optimal im Sinne eines perfekten biomechanischen Ablaufs. Besonders die Seitengänge werden aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren oftmals sehr mechanistisch diskutiert:
- Seitengänge kräftigen die Fähigkeit des Pferdes, den Reiter zu tragen.
- Seitengänge verbessern die Beweglichkeit, vor allem in Bezug auf die Längsbiegung.
- Seitengänge fördern die Entwicklung der Durchlässigkeit und Selbsthaltung.
Prinzipiell sind all diese Aussagen bei korrekter Durchführung natürlich richtig. Jeder Ausbilder ist sich oder sollte sich zumindest darüber bewusst sein, dass das Pferd zu Beginn des Lernens einer neuen Lektion zunächst mit der Technik überfordert sein kann und den einen oder anderen Teilbereich der Bewegung mit Ausweichbewegungen oder Verkrampfungen kompensiert. Das ist ein ganz normaler Prozess im Training und weder schädlich noch verwerflich.
In Bezug auf einen geschädigten oder geschwächten Körper ändert sich diese Situation aber gewaltig. Dieser ist in seiner Kompensationsfähigkeit deutlich eingeschränkt und braucht deshalb besondere Unterstützung. In Bezug auf die Therapie und Rehabilitation von Pferden muss man sich somit an den Prinzipien der medizinischen Trainingstherapie orientieren. Um deren Wirkungsweise und die Prinzipien zu verstehen, bedarf es einer umfangreichen Analyse jedes einzelnen Bewegungsablaufes, der in das bewegungstherapeutische Konzept eingebaut werden muss. Bei den Seitengängen ist dies besonders umfangreich und komplex. Schaut man sich allerdings einschlägige Konzepte von Ausbildung und Rehabilitation an, so scheint es manchmal, man müsse sich ein Pferd nur oft und lange genug mit sich kreuzenden Beinen durch die Reitbahn bewegen – schon lösen sich alle Probleme von Pferd und Reiter in Luft auf. Dabei spielen die unterschiedlichen Varianten und Gangarten nur eine untergeordnete Rolle. Die gymnastizierende Wirkung der Lektion wird auf die grob koordinative Ausführung ihrer äußeren Form reduziert und somit das Wesen des Sports, der körperliche Ertüchtigung zum Ziel hat, ad absurdum geführt.
Haupt-Herausforderung: Koordination im Seitengang
Es ist das Wesen des Sports (und für das Pferd ist Gerittenwerden eine körperliche Höchstleistung, erst recht in anspruchsvollen Lektionen wie den Seitengängen), sich der Perfektion eines Bewegungsablaufs anzunähern, auch wenn man sie vielleicht nie ganz erreichen kann.