Mit stoischer Ruhe führt Jörg Thurow seit 20 Jahren die Showtruppe Doma Clasica durch atemraubende Auftritte. Ob Gala oder Pferdetheater: Thurow gilt als Meister der Präzision, verliert im größten Trubel nie den Blick für das Wesentliche – und möchte freiwillige, ungeteilte Aufmerksamkeit auch von seinen Pferden.
Text und Fotos: Ana Springfeldt
„Reitunterricht ist keine Demokratie“, sagt der Mann, der in seiner ganzen Erscheinung einem klassischen Reitergemälde entstiegen scheint. Wenn es um Pferde geht, kennt er keine Kompromisse, denn er liebt diese Tiere zu sehr, um ihnen Beliebigkeit zuzumuten.
Wir stehen auf dem herrschaftlichen Gestüt Floggensee, Schleswig-Holstein, im Paddock bei Acebuche SAL. Der 19-jährige PRE-Hengst ist ein Showstar, der gerade genüsslich im Matsch gebadet hat. Nun kommt er freundlich brummelnd und steckt den Kopf in das Halfter. Er weiß, dass nun die tägliche Trainingseinheit folgt. „Konzentration“, sagt Jörg Thurow, während er seinem Hengst die Decke gerade rückt, „ist eher ein Problem der Reiter als ein Problem der Pferde.“ Das erkennt der aufmerksame Beobachter bereits auf dem Weg vom Paddock zum Putzplatz. Thurow bestimmt bewusst das Tempo, variiert es vom zügigen Antreten zum langsamen Schreiten.
Drängeln? Fehlanzeige! „Ich will keinen Kadavergehorsam, ich möchte ungeteilte Aufmerksamkeit“, erklärt der Trainer, der überwiegend mit Hengsten zu tun hat. „Wenn man beim Pferd ist, muss man mental absolut und ganz bei ihm sein“, sagt er. Beim Putzen vom „Butscher“, wie er Acebuche SAL liebevoll nennt, erklärt Jörg Thurow sein Rezept für Konzentration. „Es beginnt mit diesen einfachen Dingen wie Putzen, Satteln, Führen und Aufsteigen. Wer sein Pferd da herumzappeln lässt, wird auch eine miserable Trainingsstunde erleben. Wie soll das Pferd den Menschen einschätzen, wenn dieser mal nachlässig und inkonsequent Unkonzentriertheit duldet und im nächsten Moment volle Konzentration und präzises Befolgen der Hilfen verlangt?“
Für Thurow ist Fairness gegenüber dem Pferd ein monumentaler Grundsatz. „Pferde möchten Sicherheit. Ihrer Natur entspricht es, sich in einer festen Hierarchie geborgen zu fühlen. Ist der Mensch hier nicht eindeutig konsequent, fühlt sich das Pferd total verunsichert und gestresst.“ Butscher ist ein besonders sanfter und freundlicher Hengst, der sich beim Putzen entspannt und ruhig genießt. „Mit ihm teile ich durchaus Momente inniger Vertrautheit, Streicheleinheiten, tiefes Verstehen“, erklärt Thurow, aber: „Das ist gerade bei Hengsten nicht selbstverständlich und überhaupt – ein Pferd ist nun einmal kein Kuscheltier!“
Der Trainer, der hauptberuflich mit seiner Frau Katrin Stolz einen Pflegedienst leitet, kann sich ziemlich aufregen, wenn Reiter Pferde nicht als das sehen, was sie sind:
„Pferde sind große und starke Fluchttiere mit hoher Sensibilität und enormer Energie, sie zu vermenschlichen ist krass gegen ihre Natur.“
Jörg Thurow ist überzeugt, dass keine erfolgreiche Ausbildung des Pferdes zu erwarten ist, wenn Reiter vor dem Aufsitzen noch ihr Smartphone checken, ihr Pferd schon mal alleine lostrotten lassen und beim Schrittreiten den neuesten Tratsch austauschen. „Ich bestimme exakt den Moment, wo ich anreite und ich behalte die Führung in jedem Moment.“
Da ist er ganz „old school“, denn „Tradition hat ihren Grund“, findet Thurow und betont, dass neue Erkenntnisse der vergangenen Jahre für Pferde viel Positives bewirkten. „Aber auch wenn man heute vieles besser weiß, geschieht zugleich viel Quatsch. Wer das Reiten neu erfinden will, muss schon sehr viel profundes Wissen zu bieten haben. Das jedoch ist extrem selten überzeugend der Fall.“ In der Beachtung der traditionellen reiterlichen Grundregeln sieht Jörg Thurow einen wichtigen Aspekt der Rücksichtnahme und Sicherheit gegenüber Pferd und Mensch. Dabei denkt er auch an Mitreiter und Stallpersonal, die durch falsch verstandene Vermenschlichung der Pferde gefährdet werden. Begründet ist diese Tugend bedingungsloser Disziplin in seinen Anfängen, der ländlichen Reiterei im niedersächsischen Lüdingworth. Auf dem platten Land. „Mein Vater war dort als Soldat stationiert, und ich durfte als 15-Jähriger 1975 erste Reitstunden im örtlichen Reiterverein nehmen.“ Wie damals üblich, gab es Abteilungsreiten nach FN-Richtlinien auf Schulpferden. „Das war gar nicht schlecht“, findet Thurow, „wir lernten exaktes und korrektes Reiten. Präzise Bahnfiguren, genau eingehaltene Abstände, und auf ‚Marsch’ mussten alle im Galopp sein.“ Diese fast militärische Disziplin jener Reitschulzeit war es, von der Thurow heute bei seinen Auftritten mit der Formation Doma Clasica profitiert. Bei den Züchtern.…
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